Soccer in Gravity’s Rainbow

Or: What We Can Expect When an American
Author Refers to European Soccer

Oder: Versuch nicht, die Abseitsregel zu erklären,
wenn du keine Ahnung hast

„Fußball ist ein Spiel von 22 Leuten, die rumlaufen, den Ball spielen, und einem Schiedsrichter, der eine Reihe dummer Fehler macht, und am Ende gewinnt immer Deutschland.” – Gary Lineker


Europäischer Fussball– die schönste Nebensache der Welt

Es gibt eine, tief in dem Müll auf Slothrops Schreibtisch vergrabene Anspielung auf die zuerst von den Briten und Kontinentaleuropäern entwickelte Angewohnheit, 22 Männer hinter einem Ball auf einem Acker hinterherlaufen zu lassen und darauf zu wetten, welches Team es schafft, den Ball öfter durch einen waagerecht hingestellten Türrahmen zu schießen. Zwei der 22 Spieler werden eigens dafür abgestellt, um dies zu verhindern und heißen Torwart. Das Runde muß ihn das Eckige, und das auf einem völlig symmetrisch aufgeteiltem Spielfeld. Länge und Breite des Spielfeldes sind nicht genau vorgeschrieben, sie "soll bei internationalen Spielen zwischen 100 und 110 m liegen, die Breite zwischen 64 und 75 m. Bei anderen Spielen werden die Ausmaße lockerer gehandhabt; dann kann die Länge zwischen 90 und 120 m, die Breite zwischen 45 und 90 m variieren. Die Gesamtgröße liegt unter einem Hektar." (Wikipedia)

Slothrop hat, zumindest einmal, auch ein Pfund auf den Ausgang eines Fußballspiels gesetzt:

"a quid wager on the Blackpool-Preston North End game." (19)
Um diese Anspielung auf den europäischen Fußball (soccer) zu verstehen, muß man wohl Fußballfan sein, und seit dem Sieg der US-Boys über Berties Buben gibt es eigentlich keinen Grund mehr für eine so überhebliche zweite Überschrift, wie ich sie gewählt habe. Zudem hält es Pynchon mit Wittgenstein und äußert sich nicht weiter zum Fußball.

Weisenburger hat herausgefunden, daß Pynchon auf die Spiele der "North League of London’s Football Association" zwischen den Teams aus Blackpool und Preston North End anspielt. Er spricht allerdings von ‘British Football’ (Weisenburger p. 25).

Außer dem netten Verweis auf das Beckett-Stück Fin de Partie von 1956 ist es interessant, daß bei Pynchon nur ein Spiel erwähnt ist, denn Hin- und Rückspiel wurden an zwei aufeinanderfolgenden Samstagen ausgetragen. Die Teams spielten am 7. und 14. Oktober 1944 gegeneinander. Das erste Spiel endete mit einem 1:1 Unentschieden, das zweite Spiel entschied Preston North End zuhause knapp mit einem 1:0 für sich.

Die beiden Zahlenkombinationen der Spielergebnisse beschreiben die Zustände, die binäre Oppositionen einnehmen können, entweder gleichberechtigt (1:1) oder in einem hierarchischen System, in dem der eine Pol dem anderen untergeordnet ist (1:0).

Der europäische Fußballsport ist ein Spiel der vielen Möglichkeiten, das Spielfeld ist eine ‘Zone’ mit eigenen Gesetzen, die jedoch nicht völlig mit den offiziellen Spielregeln übereinstimmen. Diese Spielregeln liefern nur einen Rahmen, als Entscheidungsinstanz für die Regelauslegung befindet sich der unparteische Schiedsrichter, der Referee auf dem Platz.

Wenn zwei Mannschaften einander relativ ebenbürtig sind (wie das hier der der Fall gewesen zu sein scheint), wird ein Ergebnis unvorhersehbar, eben unentschieden. Es ist charakteristisch für den Fußball, daß ein Spielergebnis von sehr vielen Faktoren beeinflußt werden kann, die zum Teil völlig unabhängig voneinander sind und mit dem Spiel an sich gar nichts oder wenig zu tun haben, zusammen aber unter Umständen dafür sorgen, daß eine scheinbar unterlegene Mannschaft einen haushohen Favoiten besiegt, die Hierarchie der binären Oppositionen also vertauscht wird.

Zudem, so sagt man mit einer dieser herrlichen ewigen Fußballweisheiten, hat der Pokal seine eigenen Gesetze.

Für ein Pokalspiel wäre es im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Ligaspiel notwendig, daß es einen letztendlichen Sieger geben muß. Ein 1:1 wie im Hinspiel würde nicht reichen, um die Wette zu entscheiden. Numerisch reichte Preston North End das 1:0 allemal, ob dem Team dank des im Hinspiel in Blackpool erzielten Auswärtstores auch ein 0:0 gereicht hätte, ist ungewiß. Weisenburger sagt nichts dazu, ob es ein Pokal- oder Ligaspiel ist und ob Auswärtstore doppelt zählten und Fowler äußert sich nicht zu der Textstelle.

Andere Möglichkeiten, einen Sieger zu ermitteln, wenn das Spielergebnis unentschieden ist, sind die Verlängerung und das anschließende Elfmeterschießen (Hallo, Peter Handke) oder der ‘sudden death’ während der Verlängerung. Im Hinblick darauf, daß wir es hier mit den Terrorangriffen auf London und Antwerpen durch die V2 zu tun haben, ist der ‘sudden death’ auch kein schlechter Ausdruck, denn die Woche, die zwischen den zwei aufeinander folgenden Spielen zwischen Blackpool und Preston North End lag, ist im Rahmen des Romans interessant. Am 12. Oktober 1944 befahl Hitler, nur noch Antwerpen und London mit V2-Raketen anzugreifen, nachdem zuvor auch Paris beschossen worden war.

Jeder der Spieler und alle Besucher, der Referee und die Presseleute und Fotographen, alle mußten also theoretisch jederzeit mit einem ‘sudden death’ rechnen, seit Hitler ihre Stadt zum Hauptziel erklärt hatte, so wie wir in der Phase des Kalten Krieges theoretisch alle mit einem solchen durch die ICBM’s rechnen mußten. Es gibt keine Zuschauer mehr.

Die ‘indeterminacy’ eines Fußballspiels sowie die eindeutige Zweideutigkeit der Sprache der Fußballberichterstatter wird in der Zitatcollage ‘Der letzte Biß’ von Ror Wolf deutlich, an der Pynchon sicher seinen Spaß hätte. Indes, wir erfahren nicht das Ergebnis und müssen selbst herausfinden, daß es sich hier um mehr als ein Spiel von Hertha BSC in Kaiserslautern (Betzenberg) oder in Mönchengladbach (die Mönche) handelt, das die Mannschaft aus Berlin verloren hat:

„Eine halbe Stunde war vergangen. Im düsteren Schneeregen war nichts passiert. Ein lustloses Geschiebe auf klebrigem Boden. Es wollte nicht klappen. Der Dicke rackerte, aber er fand keine Lücke, er stand nicht richtig, Lotte langte kurz hin, aber schaffte es nicht, er blieb hängen, eingeklemmt von mehreren Beinen. Das ging eine Weile so weiter. Paul nahm die Hand zu Hilfe. Lutz stocherte unter der Dunstdecke auf der anderen Seite herum. Keiner traute sich. Keiner biß zu. Keiner wußte, wie es gemacht wird. Das Feuer fehlte. Aber plötzlich machte sich Emma frei auf diesem schlüpfrigen Boden, das war eine gute Gelegenheit, also fackelte Friedrich nicht lange und schob ihn gemächlich hinein. Emma bot sich nochmal an, da war Paul nicht mehr zu halten, Emma wurde gelegt, und Paul bohrte unermüdlich. Jetzt kam auch der Dicke durch, vorn war alles offen, Lutz war eingedrungen, er hatte endlich das Loch gefunden, denn Hertha zeigte auf einmal erschreckende Blößen, Emma wälzte sich auf der Linie im Schlamm, doch in diesem Moment befreite sich Hertha aus der Umklammerung, Lotte schüttelte Friedrich ab, Emma zog sich zurück, aber der Dicke stieß nach in die Tiefe, die unerhört schnellen Mönche hetzten die blauweiße Hertha über den Rasen, bis ihre Abwehr erschlaffte, sie drückten und drückten, zweimal rutschte Bernhard das glitschige nasse Ding aus den Händen, schon sprang Friedrich dazu und schob ihn lächelnd hinein in die untere Hälfte, als er das klaffende Loch sah, preßte er ihn mit unheimlicher Wucht hinein, stocktrocken, jetzt stand er richtig, Lutz ließ nicht locker, der Dicke ackerte wie verrückt, er war voll bei der Sache, der wuchtige Mann, und Paul bediente Emma mit einer Kerze. Sie prallten schwingend zusammen, die Männer mit den schwarzen Handschuhen, sie arbeiteten lautlos in schwarzen Strumpfhosen im fahlen Flutlicht. Hertha wehrte noch einmal ab, aber es nützte nichts mehr, die Mönche rissen sie in der Mitte auf, Lutz spritzte schnell in die Lücke und drückte ab, von einem Aufstöhnen begleitet. Jetzt lief es endlich, da jubeln die Glocken von Rio, jetzt lief es wie selten, der Betzenberg bebte, jetzt lief es so gut wie schon lange nicht mehr, Fritz hatte die Pfeife schon in der Hand, er ließ es weiterlaufen, ein letztes Aufbäumen, und im liegen vollendete der Dicke mit einem Rückzieher. Das war das Ende auf dem zerwühlten Rasen. Emma schleppte sich mit bespritztem Trikot in die Kabine, Oberschenkel und Hände verklebt. Lotte krümmte sich noch und hielt sich die blutigen Schenkel. Was mit Hertha war, konnte keiner mehr sagen. Ein Aufschrei zerfetzte die Flutlichtatmosphäre.”
Ror Wolf: Der letzte Biß, in: Volker Hage (Hrsg.), Literarische Collagen, Reclam 7695, Stuttgart 1981, p. 173/74.

Fussball Spielfeld

Fußballinks

Blutgraetsche.de — die Kommentarseite zum deutschen Fußball mit den versammelten Sprüchen der Helden des Rasens, die so oft besser einfach nur den Mund gehalten hätten.

Football — die Fußballseite des Guardian .

German Soccer — die englischsprachige Fußballseite der Deutschen Welle .

Gib’ mich die Kirsche — die Borussia Dortmund – Seite.

Premier League — die offizielle Seite der englischen Premier League.

Preston North End — The Invincibles — eine schöne Seite des Wiener Standard zur Geschichte des ersten Doublegewinners "in der Geschichte der Football Association (FA)."

Regionalliga Nord — Informationen zu unserer heimischen Fußballiga.

Werder Bremen — my favourite team.


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Nur die allerdümmsten Elber / fällen sich im Strafraum selber.
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Heute hat das Glück gefehlt und dann kam auch noch Pech dazu.
Jürgen "Kobra" Wegmann

Das Runde muss ins Eckige.
Helmut Schulte

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Last update Monday, June 13, 2005

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