Plots, Sub-Plots und "The Other Kingdom"

Zu Douglas Fowlers The Patterns of Gravity’s Rainbow


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"This is some kind of plot, right?" (…)
"Everything is some kind of plot, man," Bodine laughing.
"And yes but, the arrows are pointing all different ways,"
Gravity’s Rainbow

"You know what a miracle is. Not what Bakunin said. But another world’s intrusion into this one. Most of the time we coexist peacefully, but when we do touch there’s cataclysm."
The Crying of Lot 49

Mehr noch als Steven Weisenburgers Gravity’s Rainbow Companion ist der leider vergriffene Reader’s Guide to Gravity’s Rainbow von Douglas Fowler ein ziemlich unentbehrliches Nachschlagewerk, wenn es um ein umfassendes Verständnis des Romans geht. Dem eigentlichen «Scene-by-scene Guide» hat Fowler einige kürzere Kapitel sowie einen längeren Aufsatz vorangestellt, in denen er auf Themen eingeht, die im Roman behandelt werden.

Es sind dies im einzelnen: Der Krieg der Welten (The War of the Worlds) in Anlehnung an H.G. Wells, Die Schwierigkeit übernatürlichen Schreckens (The Difficulty of Supernational Terror) in Anlehnung an Skakespeares Hamlet sowie drei kürzere Teile zu Spies and Children, zu Style, Motif, Structure und Pynchon as Gothicist.

In dem Abschnitt The Patterns of Gravity’s Rainbow erläutert Fowler die fünf Hauptplots, die den Roman labyrinthisch durchziehen.

The War of the Worlds

Der Krieg der Welten

Mit dieser bewußten Anspielung auf den Roman von H.G. Wells, der, als Hörspiel gesendet, erhebliche Unruhe unter den Radiohörern verbreitete, denen der fiktionale Charakter der Ausstrahlung entgangen war, verleiht Fowler seiner Ansicht Ausdruck, daß alle Fiktion Pynchons auf einem Zusammenstoß unserer Alltagsrealität mit der Welt des Phantastischen basiert und daß diese Begegnung allen seinen Romanen ihre grundsätzliche erzählerische Energie verleiht. Zwischen dieser alternativen, uns scheinbar übergeordneten alptraumhaften Welt, die als «The Other Kingdom» bezeichnet wird und unserer
"(…) world of logic and rationality and the five senses (…)" (p. 10)
kommt es zur Kollision und es ist unsere Welt, die eine Invasion aus dem "Other Kingdom" erfährt. Fowler Ansicht nach ist hilfreich, sich Pynchons Romane als Science-fiction vorzustellen. Diese aber ist
"(…) raised to art by the power of genius (…) but still obtaining its narrative energy from the dynamics of the cruder genre from which it evolved." (ibid)
Man darf also niemals vergessen – wie die unerfahrenen Hörer im Falle von Wells’ Hörspiel – daß es sich bei Gravity’s Rainbow um einen phantastischen Roman handelt. Den meisten Science-fiction Romanen liegen aber, mehr oder weniger unbewußt, einfache Märchenschemata zugrunde, und Pynchon, so Fowler weiter, ist bestrebt, das Grundsätzliche an diesem Schema herauszuarbeiten und es, an den entscheidenden Stellen auf den Kopf gestellt, zur Grundlage seiner Texte zu machen. Man kann, so Fowler, Pynchons «einzige Geschichte» gar nicht einfacher benennen:
"(…) it is the oldest fairytale of all." (ibid, p. 11)

"(…) once again Pynchon uses a fairytale to provide the central image (…) just as he used Rapunzel for the central image in The Crying of Lot 49. This time he has chosen the most terrifying märchen out of the Brothers Grimm, the story of Hansel, Gretel and the Witch. And once again Pynchon has turned the fairytale upside down at a crucial point: here (…) the Witch triumphs, the Oven triumphs, death triumphs." (ibid, p. 44)

In Gravity’s Rainbow (siehe Episode 14) entspricht der bereits aus Pynchons erstem Roman V. (9. Kapitel: Mondaugen’s Story) bekannte Major Weissmann der Hexe, der junge Wehrmachtssoldat Gottfried ist Hänsel und die niederländische Doppelagentin Katje Borgesius spielt Gretel. Der Ofen ist die Rakete, mit Gottfried an Bord, die am Ende des Romans durch Zeit und Raum hindurch auf das Orpheus-Kino in Los Angeles der siebziger Jahre fällt. Nach Fowler steht dieses Bild für ein Eindringen des "Other Kingdom" in Form der Bedrohung durch die unkontrollierbaren Nuklearraketen der beiden antagonistischen Weltmächte auch in unsere Welt:
"(…) an apocalyptic incursion into our world by Them." (ibid, 10)
Der moderne, aufgeklärte Mensch, der nicht mehr an Märchen und Hexen glaubt, befand sich demnach durch die Bedrohung durch die ICBMs in einem Zustand, der sehr wohl mit der Lage vergleichbar ist, in der sich Generationen von unaufgeklärten und abergläubischen Menschen früherer Perioden befunden hatten. Die Bedrohung war lediglich zu ahnen, nicht aber greifbar. Der wesentliche Unterschied aber ist, daß die Bedrohung, der wir ausgesetzt waren (oder sind) sehr viel realer als jeder Glaube an Hexen oder das übernatürliche Böse ist.

Die Schwierigkeit übernatürlichen Schreckens

Ist es ein Druckfehler oder Absicht, daß der Begriff in Überschrift und im darauffolgenden Text unterschiedlich bezeichnet wird? Aus «supernatural» wird, wenn man an die globale Bedrohung denkt, gar nicht einmal unpassend, «supernational». Natürlich müßte es "multinational" heißen, aber wenn einen erwachsenen Menschen des ausgehenden zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts ein beklemmendes Gefühl beschleicht, weil die vielfältigen Geschäftsverbindungen der Global Player, die die Welt beherrschen, in keiner Weise noch überschaubar sind für irgend jemanden, dann hat das durchaus etwas mit dem Schauder zu tun, den wir als Kinder angesichts des Reichs des Bösen empfanden, dessen Angriffen sich unsere frühen Helden ausgesetzt sahen. Es gibt dort draußen eine Struktur, die entscheidenden Einfluß auf unser aller Leben hat und die tun und lassen kann, was sie will und über beinahe übermächtige Kräfte verfügt, denen niemand etwas entgegenzusetzen hat.

Aber Fowler geht es hier um etwas anderes. Mit seinem einleitenden Zitat aus dem Hamlet erläutert er die schriftstellerische Strategie, wie man mit einer Ausrede das Problem umgeht, das letztendliche Geheimnis gar nicht offenbaren zu können.

"… But that I am forbid
To tell the secrets of my prison-house
I could a tale unfold whose lightest word
Would harrow up thy soul, freeze thy young blood…"
Hamlet, I, v, 13-16
(ibid, p. 13)
Es gibt keine Beschreibung einer anderen Realität, die nicht unsere empirische Welt als Ausgangspunkt hat oder metaphorisch von ihr Gebrauch macht, aber wie sollten Worte, die doch zu dieser Welt gehören, ausreichen, um jene Welt zu beschreiben, aus der der Angriff auf unsere Welt erfolgt.

Pynchon steht also wie jeder Schriftsteller, der den Schrecken als schriftstellerischen Effekt nutzen will, vor der Schwierigkeit, den Ursprung der Bedrohung zu verbergen und die Annäherung an das Geheimnis durch die Protagonisten seines Romans (sowie des Lesers) nur schrittweise zuzulassen, um die durch den Schrecken erzeugte Spannung aufrechtzuerhalten. Einmal aufgelöst, ist sie dahin:

"Suspense is by definition a state that cannot be resolved, a field of force that vanishes once the unknown becomes the known." (ibid)
Dies ist für Fowler die Crux der Schwierigkeit, Pynchon zu lesen. Wenn andauernder übernatürlicher Schrecken der von ihm gewünschte Effekt ist, muß seine Fiktion notwendigerweise darin bestehen, einen fortwährenden, unendlichen Prozeß der allmählichen Annäherung zu präsentieren (delta-t), der letztendlich aber unaufgelöst bleiben muß. Hat man jedoch einmal erkannt, daß gar nicht die Auflösung des Geheimnisses, sondern die Aufrechterhaltung der Ungewißheit seine Absicht ist, verschwinden eine Reihe der Probleme, die dem Verständnis des Romans entgegenstehen.

The Patterns of Gravity’s Rainbow

"(…) it reveals a good deal about Gravity’s Rainbow to notice that the novel would not make a successful film." (ibid, p. 44)
Fowler unterscheidet fünf Haupterzählstränge, die durch den Roman mäandrieren, um unterschiedliche Personengruppen herum organisiert sind und sich durch den «Ton», in dem sie gehalten sind sowie in ihrem unterschiedlichen Grad an Wahrscheinlichkeit voneinander unterscheiden.

Hauptplot ist unzweifelhaft der Erzählstrang um Lieutnant Tyrone Slothrop, der London verläßt und das besetzte Deutschland (die Zone) zu dem Zweck durchquert, das Mysterium aufzulösen, das seine Erektionen mit der V-2 Rakete verbindet.

Die Karte von London, auf der er die Orte seiner Liebesabenteuer mit Sternchen versehen hat, stimmt mit der Statistik der auf London abgeschossenen V-2 Raketen überein. Seine hektischen Abenteuer erinnern Fowler an einen "Abbot & Costello"–Film. Gegenspieler Slothops ist Major Pointsman ( auf deutsch: Weichensteller), dessen Geheimdienstabteilung (deren Akronym nicht rein zufällig auch der Name des zwölften Sternzeichen des Zodiaks ist) PISCES, das für "Psychological Intelligence Schemes for Expediting Surrender" (34) steht, herauszufinden versucht, inwieweit die merkwürdige Koinzidenz zwischen Slothrops Erektionen und der V-2 für die allierten Kriegsziele nutzbar ist.

Entgegen der Hoffnung, ihn kontrollieren zu können, wird Slothrop durch Pointsmans Manipulationen allerdings dazu gebracht, zu desertieren und auf eigene Faust zu versuchen, herauszufinden, was mit ihm geschehen ist. Nach mehrmaligen Identitätswechseln gelangt er wirklich in die Raketenfabrik «Mittelwerke» in Nordhausen im Harz sowie nach Peenemünde.

Im Verlauf seiner Queste hat er mindestens mit jeweils einem der Charaktere aus den anderen Handlungssträngen Kontakt. Er ist gezwungen, seine Identität zu wechseln, um seinen Verfolgern zu entkommen, hat an einem großen Haschdeal Anteil, entkommt durch eine Ballonfahrt, schlüpft in ein Schweinekostüm, dessen rechtzeitiges Ablegen in einem Soldatenpuff seiner drohenden Kastration durch Pointsmans Leute mehr als zufällig zuvorkommt, schläft mit einer Reihe von Frauen, die wiederum mit anderen Romanfiguren verkehren und löst sich am Ende auf.

Weitaus realistischer gehalten ist der zweite Strang um den Statistiker Roger Mexico und seine Geliebte Jessica, die allerdings auch noch Beziehungen zu einem gewissen Jeremy Beaver pflegt, an den Roger Jessica verliert, als der Krieg vorbei ist. Rogers Raketenstatistiken sind es, die Pointsman auf Slothrop gebracht haben, denn die Übereinstimmung ist natürlich eine statistische Unmöglichkeit.

Held des dritten Handlungsstrangs ist der Herero Enzian, vor dem Krieg der Liebhaber von Major Weissman, der ihn aus Afrika mit nach Deutschland gebracht hat. Enzian befehligt das «Schwarzkommando», eine Gruppe von Herero-Raketentechnikern, die ihre eigene Rakete abschießen wollen. Er muß sich jedoch mit einem Teil der Hereros auseinandersetzen, die den Genozid der Deutschen an den Hereros durch rassischen Selbstmord vollenden wollen (Joseph Ombindi und die «Empty Ones»).

Der wirkliche Gegenspieler Enzians, dessen Vater ein russischer Matrose war, ist jedoch sein eigener Halbbruder Vaclav Tschitcherine, der die Zone durchkämmt, um ihn zu töten. Dies wird jedoch durch das Eingreifen von Tschitcherines Freundin, der „guten" Hexe Geli Tripping verhindert, die es nicht zu einem direkten Kontakt kommen läßt.

Der vierte Handlungsstrang erzählt die Geschichte von Raketentechniker Franz Pöckler sowie seiner Frau Leni und ihrer Tochter Ilse. Pöckler steht unter Weissmanns Kontrolle, der dafür sorgt, daß Ilse, die mit ihrer Mutter in einem KZ sitzt, ihren Vater einmal pro Jahr besucht und eine inzestuöse Beziehung zu ihm eingeht.

Fünfter und nach Fowler «dunkelster» Erzählstrang des Romans ist die Geschichte um Weissmann, Gottfried und Katje, die das eigentliche Märchen in perverser Umkehrung durchspielen. Märchen gehören zum phantastischen Genre wie die Science-fiction (‘Once upon a time in the future’). Märchen gehen doch immer gut aus, und, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, die Zukunft ist unser gemeinsames Märchen, von dem wir alle hoffen, daß es gut ausgeht, oder?

Index

Literatur

Douglas Fowler : A Reader’s Guide to Gravity’s Rainbow, Ann Arbor, Michigan, 1980.

Steven Weisenburger: A Gravity’s Rainbow Companion. Sources and Contexts for Pynchon’s Novel, The University of Georgia Press, Athens & London 1988.

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© Otto Sell – Tuesday, September 26, 2000
Last update Thursday, February 24, 2005

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