William Gaddis — JR

Goldmann, München, September 2001

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Coen: —Money …?
Julia: —Paper, yes.
Anne: —And we’d never seen it…
Julia: —We never saw paper money…
Anne: —It looked so strange…
Julia: —You couldn’t believe it was worth a thing…
Anne: —Not after Father jingling his change.
Julia: —Those were silver dollars…
Anne: —And silver halves, yes and quarters, Julia…

(Gaddis-List)

Einleitung

Nach Die Fälschung der Welt (1952), Die Erlöser (1985) und Letzte Instanz (1994) ist JR (1975) der vierte Roman, den ich von Gaddis lese, in Ermangelung der Originaltexte immer noch auf deutsch.

Wie gewohnt (besonders aber bei Letzte Instanz) ist es Gaddis auch hier trefflich gelungen, das „Thema” des Romans bereits im ersten Satz umfassend zu beschreiben. Ging es dort um die binäre Opposition von Recht und Gerechtigkeit (oder genauer, die Unmöglichkeit, letztere hienieden zu erlangen, weil sie dem Himmel vorbehalten ist), so ist es hier der Einfluß des Geldes auf die Menschen, die damit zu tun haben — und wer hat das nicht:

—Geld? … mit einer Stimme, die raschelte. (7)

Es ist Rechtsanwalt Coen, dessen Stimme seine Gier kaum zu verbergen vermag, als dieser zwei alte Damen, Julia und Anne Bast, besucht, um den „Neffen” Edward, dessen biologische Herkunft sowie erbrechtliche Stellung in der Familie etwas unklar und verworren zu sein scheint, dazu zu bewegen, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben, die für die Erschaftsangelegenheiten eines verstorbenen Bruders der beiden Ladies, Thomas, wichtig ist.

Wie in seinen anderen Romanen erhalten wir auch zu Beginn von JR verschiedene Hinweise auf die amerikanische Geschichte, die Indianer, den Erwerb der Insel Manhattan durch die Niederländer, den Unabhängigkeitskrieg, den Bürgerkrieg, den Krieg mit Spanien 1897/98 sowie den Puritanismus und seine Auswirkungen auf das amerikanische Rechtssystem sowie die amerikanische Gesellschaft generell.

Gaddis setzt in JR den absoluten Dialogstil fort, der schon Die Erlöser und Letzte Instanz gekennzeichnet hat; ein Verfahren, das zwar zu Anfang etwas anstrengend für den ungeübten Leser sein mag, im weiteren Verlauf der Lektüre aber immer einfacher wird, wenn man die einzelnen Handlungsstränge erst einmal voneinander zu unterscheiden gelernt hat. Beschreibende Textabschnitte haben bei Gaddis die spezielle strukturelle Aufgabe, die Wechsel zwischen den verschiedenen Schauplätzen der Dialoge anzuzeigen und dabei gleichzeitig als Scharnier zwischen den Szenen zu fungieren. Da aber die sprechenden Personen nur im Rahmen der Dialoge vorgestellt oder beim Namen genannt werden, ist der Leser stets zur Aufmerksamkeit gezwungen, wenn er auf dem laufenden bleiben will, mit wem er es eigentlich zu tun hat.

So beschreibt der erste „Wechsel” beispielsweise eine rasante Autofahrt Coens (mit einer Fülle von Verfalls– und Vergänglichkeitssymbolen) ins Stadtzentrum, nachdem er feststellen mußte, daß Edward den Familiensitz der Basts unbemerkt verlassen hat:

Zur Todesmelodie quietschender Bremsen raste der Wagen in die Welt hinaus (…), entging, kaum auf der Straße, nur knapp der direkten Konfrontation mit der ausladenden Trauerpracht angrenzender Blumenfelder, gewann jedoch gerade noch rechtzeitig den sicheren Asphalt zurück, um den von Bonbonpapier und Bierdosen gesäumten Seitenstreifen entlang der Hecke mit einem ähnlichen Massaker zu bedrohen, ein Geschehen, das sich bereits dem halbverhangenen Blick der Dachfenster entzog, welche mit starrer Mißbilligung über die Hecke hinwegsahen, bevor diese einer gelben Scheune Platz machten, doch was bedeutete schon das Gebilde von Menschenhand angesichts des kollossalen Tupelobaumes unmittelbar voraus und der drohenden Kollision, welche nur um Haaresbreite und durch ein haarsträubendes Lenkmanöver vermeidbar, dann allerdings ebenso schnell vergessen war, während die Fahrt weiterging, (…) vorbei an den Fenstern eines ausgeweideten Farmhauses (…) wo die Straße vorschriftsgemäß ins stadtische Labyrinth mündete und die Dinge sich wieder auf menschliches Maß verkleinerten, Hartriegelsträucher, Berberitze dann, bereits blutrot verfärbt für den Herbst.
(…) und weiter durchs Stadtzentrum, aus dem jede Andeutung von Dauer entweder verschwunden war oder gerade von heulenden Motorsägen zerschnitten wurde (…). (27-28)
Strukturell bilden diese beschreibenden, den strikten Dialogstil aufbrechenden Textstellen den Übergang zur jeweiligen nächsten Dialogszene. Das Beispiel verdeutlicht aber auch eine weitere stilistische Eigenart, die Gaddis in seinen Texten anwendet, wenn nämlich unbelebte Dinge so beschrieben werden, als könnten sie wahrnehmen oder agieren oder Beifall und Mißfallen ausdrücken, wie die Dachfenster im obigen Beispiel.

Zum Thema Geld ist schon vieles gesagt, geschrieben und gesungen worden, man denke nur an Pink Floyd (Money) oder Rio Reiser (Geld), nicht zu vergessen Wolfgang Neuss (Armer Staat) oder Cabaret. Gaddis verweist von vorneherein auf die Anfänge und den Wandel in Form und Bedeutung des Geldes vom reinen Zahlungsmittel zur rein virtuellen Spekulationsgröße beinahe ohne jeden realen Bezug. Julia und Anne Bast hingegen können sich noch an das erste Papiergeld erinnern, etwas später erinnert die symbolische Summe von 24 Dollar, mit der Mrs. Jouberts Schüler Aktien und damit ihren „Anteil an Amerika” erwerben wollen, an den Kaufpreis, den die Niederländer den Indianern für die Insel Manhattan bezahlt haben, wo sich heute, auch nach dem 11. September 2001, das Finanzzentrum der Weltwirtschaft befindet, wo durch die Manipulation von unzähligen Währungseinheiten die Geschicke von Milliarden von Menschen bestimmt werden.

JR Scene Guide

William Gaddis Hauptseite – Bio- und Bibliographie

Die Fälschung der Welt – Inhaltsverzeichnis und Seitenzahlen der deutschen Ausgabe.

William Gaddis Weblinks – a list of the best Gaddis-weblinks.

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