Salman Rushdie

Handcuffed to History

Aspects of Salman Rushdie’s
Midnight’s Children (1981)

1. Salman Rushdie
2. Family and History
2.2 Blechtrommelei
3. Postmodern Storytelling
4. Literatur

WerkeLinks

“Writers and politicians are natural rivals.
Both groups try to make the world in their own images;
they fight for the same territory. And the novel is one way
of denying the official, politicians’ version or truth.”

(Imaginary Homelands, Introduction, p. 14)

Epitaph

The wall on which the prophets wrote
is cracking at the seams.
Upon the instruments of death
The sunlight brightly gleams.
When every man is torn apart
With nightmares and with dreams,
Will no one lay the laurel wreath
When silence drowns the screams.
Between the iron gates of fate,
The seeds of time were sown,
And watered by the deeds of those
Who know and who are known;
Knowledge is a deadly friend
If no one sets the rules.
The fate of all mankind I see
Is in the hands of fools.

Confusion will be my epitaph.
As I crawl a cracked and broken path
If we make it we can all sit back and laugh.
But I fear tomorrow I'll be crying.
Yes I fear tomorrow I'll be crying.

King Crimson
In the Court of the Crimson King
Island, 1969



1. Der Autor Salman Rushdie

Zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftssystemem wurden Schriftsteller und Autoren, die es wagten, gegen den herrschenden Kanon zu reden und zu schreiben, von den Mächtigen diskriminiert, bedroht, verfolgt und gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Salman Rushdie, als Moslem in Bombay, dem Schmelztigel Indiens geboren, ist ein solcher Exilant, Asylant und Wanderer zwischen den Kulturen, unterworfen allen Vor– und Nachteilen, die eine solche Existenz, insbesondere für den Schriftsteller, mit sich bringt.

Er wurde 1947 in Bombay als Sohn wohlhabender moslemischer Eltern geboren, die ihn mit 14 Jahren zur Ausbildung nach Rugby in England schickten. Auf Druck seiner Eltern ging er mit diesen nach Pakistan, „floh” jedoch von dort wieder nach England. In Cambridge studierte Rushdie Islamischen Geschichte.

Wirklich heimisch war er und akzeptiert wurde er nirgends. In Cambridge war er der Exot, in Indien der “brown sahib”, der vom Westen verdorbene Materialist und in Pakistan schlicht der blasphemische Gotteslästerer. 1988 brachten ihm Die Satanischen Verse eine Fatwa durch den mittlerweile verstorbenen iranischen Revolutionsführer Chomeini ein. Nach moslemischem Recht darf jeder Moslem Rushdie überall und zu jeder Zeit ungestraft umbringen. Seither lebt er in England von der Polizei geschützt im Untergrund und genießt sichtlich seine wenigen öffentlichen Auftritte.


2. Family and History or family-history? Blechtrommelei, names and dates

Jede Familiengeschichte hat immer auch mit erzählter Zeitgeschichte zu tun, weil in den Familien die Erinnerung an die erlebte Vergangenheit verbal weitergegeben wird. Jede Anekdote, die bei Familienfesten erzählt wird, ist in eine historische Folie eingebettet, die der Erzähler mitliefert und die durch andere Anwesende, die den Zeitraum ebenfalls erlebt haben, durch weitere Details ergänzt wird. So wird unser Bild von der Vergangenheit wird immer von dieser Mischung aus historischen Fakten und subjektiven Erfahrungen geprägt sein, egal, wie viele historische Bücher wir lesen, die uns eines anderen belehren wollen.
Gerade wir Nachkriegsdeutsche haben unsere unbewältigte Vergangenheit stets aufs neue aufzuarbeiten, wenn neue Facetten zutage treten oder Fakten neu bewertet werden.
Hieran möge denken, wer sich fragt, was ihn eine moslemisch-indische Familiengeschichte angeht (abgesehen davon, daß Chomeini gegen den Autor wegen der Satanischen Verse später eine Fatwa verhängt hat), dem sei gesagt, daß schließlich auch die Familiengeschichte eines kaschubischen Jungen aus Danzig zu literarischem Weltruhm gekommen ist. Auch hier könnte man die gleiche Frage stellen und dies ist nicht der einzige Zusammenhang, der zwischen beiden Romanen besteht.

Um es vorerst dabei zu belassen: literarisch ist Bombay nicht so weit von Danzig oder London entfernt, wie dies geographisch den Anschein haben mag, Kaschmir und die Kaschubei haben intertextuell mehr miteinander zu tun, als man denkt.

Wie aber man bringt in der Komposition des Romanes eine Familiengeschichte und die Historie zusammen, ohne daß die historischen Fakten lediglich eine Hintergrundfolie für einen mehr oder weniger historischen Roman werden. Beide Seiten, die offizielle Geschichtsschreibung wie das Erzählen von (mehr oder weniger) Familienanekdoten, sind hinsichtlich ihrer Behauptung, eine wie auch immer geartete Wahrheit zu berichten, fragwürdig geworden. Die Postmoderne stellt den Wahrheitsgehalt der Geschichtsbücher wie den mimetischen Anspruch der Literatur des 19. Jahrhunderts in Frage. Linda Hutcheon von der Universität Toronto hat für die Literatur, die sich der Problematik des adäquaten Erzählens von Historie wie von Geschichten bewußt ist, den Begriff “Historiographic Metafiction” geprägt.

Salman Rushdie bewerkstelligt dies mit einer absoluten Ironisierung der historischen Fakten, indem er Familien-und Lebensgeschichte seines Protagonisten mit der Geschichte Indiens und Pakistans parallelisiert. Hierdurch wird zum einen die Geschichte profanisiert, ironisiert und fiktionalisiert, zum anderen die Familiengeschichte übersteigert und mythologisiert.

Würde man sagen, daß die Erzählerfigur Saleem Sinai eine Automythologisierung betreibt, so wäre dies stark untertrieben. Die Familiengeschichte des Erzählers und auch er selbst (durch sein Geburtsdatum) ist auf beinahe groteske Weise in die Geschichte Indiens verstrickt.

Diese Verstrickung führt dazu, daß er langsam beginnt zu zerfallen, so wie auch die britische Kolonie Indien in verschiedene Staaten zerfallen ist, in eine Vielzahl von ethnischen Gruppen und schließlich in 630 Millionen Individuen zerfällt:

“Please believe that I am falling apart. I am not speaking metaphorically (…) I mean quite simply that I have begun to crack all over like an old jug - that my poor old body (…) has started coming apart at the seams. In short, I am literally disintegrating (…). I ask you only to accept (…) that I shall eventually crumble into (approximately) six hundred and thirty million particles of anonymous, and necessarily oblivious dust.” (37)


2.2 Blechtrommelei

Den Vergleich mit Grass’ Die Blechtrommel (1959) halte ich aus sehr unterschiedlichen Gründen für legitim. Rushdie nennt Grass in einem Interview neben Calvino und Borges als einen der Schriftsteller, die ihn literarisch beeinflußt haben. Sowohl Grass als auch Rushdie haben durch und wegen ihrer literarischen Aufarbeitung ihrer Nationalgeschichte in ihren Ländern bzw. Kulturkreisen zugleich Empörung und Begeisterung hervorgerufen, mußten und müssen üble Nachrede, Beschimpfungen und im Falle Rushdies sogar offene Verfolgung ertragen.

Beide Romane werden von einem fiktionalen Ich-Erzähler, der nicht mit dem realen Autor verwechselt werden darf, in Rückblenden erzählt. Beide Autoren beschreiben erst die Geschichten der Großeltern und Eltern ihres Erzählers, bevor sie zu dessen eigener Geschichte kommen.

Ist es dort die Großmutter auf dem Kartoffelacker zwischen Polen und Deutschland, so ist es hier, in schöner postmoderner Umkehrung, der Großvater in den Bergen von Kaschmir, zwischen Pakistan und Indien. Beide Familien stehen zwischen den Fronten der jeweils heraufziehenden Kriege, weil sie familiäre Wurzeln in beiden Teilen der verfeindeten Völker haben. Solche Familien leiden überall und in jedem Konflikt besonders an der Absurdität des Krieges.

Die Kapitelüberschriften des jeweils ersten Kapitels beider Romane bezeichnen eine Textilie, die für das Kennenlernen der Großeltern von besonderer Bedeutung ist, hier „Das Laken mit dem Loch,” dort „Der weite Rock.”

Die Kennenlernsituationen sind beide völlig absurd, so daß sie unmittelbar Sinn machen, wenn man sie als binäre Opposition begreift. Rushdie hat das über Monate hin ausgedehnte Kennenlernen der Braut durch ein fünfzehn Zentimeter großes Loch im Hause der zukünftigen Schwiegereltern entgegengesetzt zu der wahrlich «flüchtigen» Begegnung auf einem Kartoffelacker irgendwo im Nichts konstruiert.

Außerdem findet in beiden Romanen eine ziemliche Verunklarung der Abstammung statt. Wissen wir bei Oskar nicht, wer genau sein Vater ist und ob er selber nicht der Vater seines Bruders ist, so läßt Rushdie uns und Saleem seine mitlesende Partnerin Padma lange im unklaren darüber, welche der drei Töchter seines Großvaters Saleems Mutter werden wird und offenbart schließlich, daß es keine ist, weil Saleem Sinai gar nicht der ist, der er vorgab zu sein, sondern ein Wechselbalg.

Und um es auf die Spitze zu treiben, hat dieser Wechselbalg noch einen anderen Vater als alle vermuten, nämlich den Urenkel des Stadtgründers von Bombay, den Briten Methworld, der den Sinais sein Haus verkauft, als die Briten gehen. Diese Tatsache erbost Padma außerordentlich:

“An Anglo?” Padma exclaims in horror. “What are you telling me? You are an Anglo-Indian? Your name is not your own? (…) All the time,” Padma wails angrily, “you tricked me. Your mother, you called her; your father, your grandfather, your aunts. What thing are you that you don’t even care to tell the truth about who your parents were? (…)” (118)
Eine weitere Parallele zur Blechtrommel zeigt sich bei der Doppelnull. Anna Bronski wurde „Ende Juli des Jahres nullnull (…)” geboren, der Ich-Erzähler Saleem Sinai ist am 15. August 1947 um 00:00 Uhr, dem präzisen Datum von Indiens Unabhängigkeit, allerdings nicht in Delhi, sondern in Bombay, was dazu führt, daß er ein geringfügig anderes Horoskop als der indische Staat hat:

“(…) thanks to the occult tyrannies of those blandly saluting clocks I had been mysteriously handcuffed to history, my destinies indissolubly chained to those of my country. For the next three decades, there was to be no escape. Soothsayers had prophesied me, newspapers celebrated my arrival, politicos ratified my authenticity.” (9)
So erklärt Saleem Sinai seine angebliche Verstrickung in die Geschichte Indiens und Pakistans, die es ihm ermöglicht, die banalsten und absurdesten Familienanekdoten mit der großen Politik in einen Zusammenhang zu bringen. So „wichtig” diese drei letzten Angaben auch klingen mögen, der Leser lernt mit der Zeit, daß man Saleem Sinai nicht ernst nehmen darf: der Weissager Sri Ramram Seth, den Mumtaz Aziz alias Amina Sinai vor der Entbindung ihres Kindes aufsucht, ist höchst zweifelhaft, die Zeitung sucht lediglich einen Aufhänger, um die Auflage mittels eines netten Babyphotos zu steigern und wenn ein Politiker etwas oder jemanden für authentisch oder wahr erklärt, tut man immer gut daran, zunächst eher das Gegenteil für wahr zu halten und das Dementi abzuwarten. Der Fall Saleem Sinai sollte uns eine Lehre sein.

Der ständige Verweis auf die Besonderheit der Umstände seiner Geburt weckt, so scheint es, in Saleem Sinai eine verzweifelte Suche nach der besonderen «Bedeutung» seiner Person, in Wirklichkeit aber stellt er die ewige Frage nach dem Sinn des Lebens, die fast jeden Menschen beschäftigt. Nur, daß sich in seinem Fall die Frage eben verschärft stellt, bedingt durch das spezielle Geburtsdatum. Dieses Faktum der Geburt am Unabhängigkeitstag einer Nation von ungefähr 630 Millionen Individuen ist schon eine Bürde, wenn man es als Besonderheit sehen will. Wenn nicht, hat es überhaupt keine besondere, sondern ist nur eine statistische Bedeutung, die *inhaltlich* nichts über die Qualität oder Eigenschaften der betreffenden Person aussagt.

Literarisch sind dieser Umstand sowie die langanhaltende Unklarheit der letztendlichen Vaterschaft Saleem Sinais ein Spiel des Autors Rushdies, der zum einen bekennt, daß er mit dem «Heldenkreis» Lord Raglans, den Schriften Joseph Campbells und John Barth wohlvertraut ist. Letzterer schreibt dazu in seinem Aufsatz Tragedy and Mystery: The Twin Motions of Ritual Heroism in seiner unnachahmlichen Art:

“We’re all God’s children, speaking literally or figuratively. Our mommies and daddies are all kings and queens whom we shall have to displace, and our conceptions were extraordinary because they engendered the uniqueness of each of us. We all bear the scars of infant traumas. (…)
We found our little dynasties, do our little work, pass our climacterics, and become ourselves the ogres whom our children must depose. Then naked we return whence naked we came, to the bosom of God or of nothingness—and what can any man tell his children, finally, or leave behind for them? Et cetera—you get the idea, and can work your own details with appropriate rhetoric: Christian, Freudian, Jungian, what you will. It may be a questionable practice in literature classes, but in civilian life a very great many of us find the most intense relevance of homer’s Odyssee, for example, in our prolonged endeavor to get Back Home.”

John Barth, 1984, p. 47


3. Postmodern Storytelling: tricks and devices, framed narrative, binaries

3.1 Es war einmal in Indien: Scheherazade

Nachdem der Erzähler auf der Suche nach einem adäquaten Anfang seine Erzählung mit dem klassischen und etwas ungenauem Es war einmal… begonnen hat, verbessert er sich sofort, weil der ja angeblich der Besonderheit des genauen Datums seiner Geburt nun einmal nicht entkommen kann:
“I was born in the city of (…) once upon a time. No, that won’t do.” (9)
Saleem Sinai bedient sich bereits auf der ersten Seite des Kunstgriffs, sich auf Scheherazade, die größten Erzählerfigur der Weltliteratur aus den Geschichten aus 1001 Nacht, zu berufen, auch wenn er den klassischen Märchenanfang scheinbar verwirft. Aber er verwirft ihn ja gar nicht wirklich (wie er vorzugeben scheint), sondern schreibt ihn und verwendet ihn damit, streicht ihn aber sofort wieder durch.

Und er präzisiert das Es war einmal…, und zwar um das familiengeschichtlich wie historisch relevante Datum der Loslösung Indiens von Großbritannien am 15.8.1947 um Null Uhr,

“ (…) On the stroke of midnight, as a matter of fact. Clock hands joined palms in respectful greeting as I came. (…) … at the precise instant of India’s arrival at independence, I tumbled forth into the world.” (9)
als Gandhi sein Ziel erreicht und Indien in die Unabhängigkeit geführt hatte, allerdings um den Preis der Teilung in zwei Staaten, den überwiegend hinduistischen Teil (Indien) und den moslemischen Staat (Pakistan und Bangla Desh), die einander spinnefeind sind und nach der Unabhängigkeit drei Kriege gegeneinander führten und sich heute sogar mit Atomwaffen bedrohen. Dies macht deutlich, daß man die besten Absichten haben kann, diese absolut friedlich vertreten kann und dennoch Blutvergießen bewirkt. Der Schmerz, den der Mahatma angesichts der Morde und ethnischen Säuberungen gefühlt haben muß, trifft in verminderter Form auch den Autor Rushdie, als Moslem aus Bombay, dem Symbol für das multikulturelle Indien, ausgebildet in bester britischer Tradition. Die Textstelle selbst ist aus einem Nehru-Zitat zusammengestellt, der am 15. August 1947 gesagt hatte:
“At the stroke of midnight hour, when the world sleeps, India will awake to life and freedom.”
(Time, October 27, 1947)
Doch die Realität sah zunächst einmal anders aus. Mehr als hunderttausend Menschen verloren im darauffolgenden halben Jahr bei Unruhen zwischen den Volks– und Glaubensgruppen ihr Leben. Eine der größten geschichtlich belegten Völkerwanderungen (wie man früher anstelle des heutigen Begriffs "ethnische Säuberung," der mich an Orwells “newspeak” erinnert, sagte) fand zwischen Indien und Pakistan statt. Bis Februar 1948 verließen 2.550.000 Moslems Indien, 2.275.000 Sikhs and Hindus verließen die Landesteile, die zukünftig zu Pakistan gehören sollten.


3.1.1 Tales within Tales within Tales

Saleem Sinai verwendet den Verweis auf Scheherazade, um eine komplexe Familiengeschichte in den Griff zu bekommen, die aus vielen Einzelgeschichten und Anekdoten aus immerhin drei Generationen besteht und dennoch ein Ganzes und Sinn ergeben soll. Dieser Verweis hat mich an einen anderen, großen postmodernen Schriftsteller erinnert, der nach eigenem Bekunden auch stets besonders hingerissen war von dieser außergewöhnlichsten Erzählerinnenfigur der Weltliteratur. John Barth räumt dies in dem Aufsatz Tales within Tales within Tales in seinem Friday Book (Barth, 1984, p. 220) ein und läßt auch den “Genie,” den Schriftsteller, der Scheherazade in Barth’ Erzählung Dunyazade in Chimera mit den notwendigen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht versorgt, diese besondere Beziehung hegen.

Saleem Sinai beginnt 1915 in Kaschmir mit der Geschichte seines Großvaters Aadam Aziz, der gerade aus Deutschland zurückgekommen ist, wo er Medizin studiert hat und dabei mit selbst für Europäer modernen Ideen in Kontakt gekommen ist. Dies kann man, wenn man so will, dahingehend deuten, daß Rushdie den Osten daran erinnert, daß hier eine kulturelle Umkehrung stattgefunden hat. Während man im 20. Jahrhundert man in den Westen gehen mußte, um Anschluß an die Moderne zu erhalten, war früher der Osten führend in vielen wissenschaftlichen und kulturellen Dingen war und die Gelehrten aus dem Westen kamen in den Osten kamen, um zu lernen.


3.2 Binary Oppositions: Moslem vs. Hindu, East vs. West, Past vs. Present, Belief vs. Disbelief, Improbable vs. Mundane, Meaning vs. Absurdity, Cause vs. Effect

Eine Quelle des Unmuts über Rushdies Romane in den moslemischen Staaten sowie seiner Heimat Indien liegt sicherlich in der postmodernen Struktur seiner Texte begründet. Religiöser Fundamentalismus steht dem Pluralismus der Postmoderne diametral gegenüber, weil dieser Pluralismus seinen Ausschließlichkeitsanspruch bedroht. Die zentrale Aussage der literarischen Postmoderne betrifft binäre Oppositionen, die dazu benutzt werden, lange Metaphernketten aufzubauen und so eine “Bedeutung” aufzuschieben. Rushdie bekennt sich bereits auf der ersten Seite zur Postmoderne und so darf man das folgende Zitat auch nur ironisch verstehen.
“(…) if I am to end up meaning – yes, meaning – something. I admit it: above all things, I fear absurdity.” (9)
Rushdie gelingt es in seinen Romanen vortrefflich, die Absurdität der Vorstellungen von der Überlegenheit einer ethnischen oder religiösen Gruppe zu belegen, indem er in Form von Familiengeschichten aufzeigt, wie dogmatische Vorstellungen an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigehen, wenn diese Wurzeln auf beiden Seiten haben, wie das bei sehr vielen Menschen nun einmal so ist, die in der Nähe der Grenzen ihres Heimatlandes leben. Bei Saleems Großvater Aziz ergibt sich noch die verschärfte Problematik, daß er durch seinen Aufenthalt in Deutschland und seine Ausbildung als Arzt in Gegensatz zu seinem althergebrachten Glauben geraten ist:
“But it was no good, he was caught in a strange middle ground, trapped between belief and disbelief (…). And was knocked forever into that middle place, unable to worship a God in whose existence he could not wholly disbelieve. Permanent alteration: a hole” (12)
Dieses Gegensatzpaar von Glaube und Unglaube entspricht den Gegensätzen von Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart, Aberglaube und Aufgeklärtheit, Bedeutung und Absurdität, Sinn und Unsinn, Ursache und Wirkung, die das ganze Buch durchziehen.


3.3 Padma: der eindringende Leser, Laurence Sterne und die Nasen-Connection

Der Verweis auf die Blechtrommel und Scheherazade sind nicht die einzigen Referenzen an literarische Vorbilder Rushdies. Weniger eindeutig und doch offen genug ist sein Bekenntnis zu Laurence Sterne und seinen Tristram Shandy von 1760, einem der einflußreichsten Werke der englischen Literatur.


4. Literatur

John Barth, “Tales Within Tales Within Tales,” in: The Friday Book, NY 1984, p. 218-238.

Jonathan Culler, Dekonstruktion Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, Rowohlt, Reinbek 1988.

Linda Hutcheon, “Historiographic Metafiction,” in: Patrick O'Donnell und Robert Con Davis (Ed.), Intertextuality and Contemporary American Fiction, The Johns Hopkins UP, Baltimore und London 1989, p. 3-32.

Laurence Sterne, Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman – Vol. I–IX, York u. London 1759–1767, Zürich 1983–1991, Zweitausendeins, Frankfurt.

Laurence Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman – Vol.I –IX, York u. London 1759–1767, Penguin Classics, London 1985.

Salman Rushdie, Midnight’s Children, London: Vintage, 1995.

Salman Rushdie, Imaginary Homelands: Essays and Criticism, 1981-1991, Granta Books, London 1991.



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© Otto Sell – Wednesday, August 30, 2000
Last update Wednesday, January 12, 2005

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