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								Tuesday, January 04, 2005
							
							 
							
								Es ist das Ausmaß der Katastrophe vom 2. Weihnachtstag des Jahres 2004,
								das mich stumm hat werden lassen. Wie will man auch ein Ereignis, das
								letztendlich mit Sicherheit mehr Tote als der Atombombenabwurf auf Hiroshima
								fordern wird, auch rational kommentieren. Andererseits darf dieses 
								
									nicht
								
								von Menschenhand gemachte Unglück nicht davon ablenken, daß seit
								Kriegsbeginn mehr als 100.000 Zivilisten im Irak ums Leben gekommen sind und
								daß die jetzt angelaufene Hilfe für die zwölf von dem Tsunami
								betroffenen Staaten anderswo (vor allem in Afrika) fehlen wird.
								 
								Ferner weist George Monbiot heute im 
								GUARDIAN
								 darauf hin, daß die von Staaten wie den USA und Großbritannien
								geleistete Hilfe natürlich nur ein Bruchteil der Gelder darstellt, die
								gleichzeitig für die Kriegsführung ausgegeben werden:
								 
 
							
								Während sich Deutschlands Schröder den dauerhaften Sitz im
								Weltsicherheitsrat anscheinend mit vorgeblicher Großzügigkeit
								erkaufen will (oder geht es darum, schon zu Beginn des Jahres klar zu machen,
								warum wir die MaastrichtKriterien auch in diesem Jahr auf keinen Fall
								einhalten können), streiten sich die Amerikaner darüber, ob sie nun
								geizig sind (wie von dem norwegischen UNKoordinator 
								Jan Egeland
								angeblich angedeutet worden ist) oder nicht  wie Präsident Bush
								behauptet. "Land der Pfennigfuchser" nennt Nicholas D. Kristof sein Land denn
								auch in seinem heutigen Kommentar in der 
								NEW YORK TIMES,
								 den auch der 
								SPIEGEL
								 im englischen Original übernommen hat. 
								 
 
							
								Wenn man einmal von der TsunamiKatastrophe absieht, die absoluten Vorrang
								bei allen Nachrichten und Kommentaren genießt, so gab es in der
								vergangenen Tagen einige Diskussionen darüber, ob es klug oder angesichts
								der anhaltenden Gewalt überhaupt möglich ist, die für den 30.
								Januar geplanten Parlamentswahlen im Irak abzuhalten. Gestern haben
								Präsident Bush und der irakische ÜbergangsPremierminister
								nochmals bekräftigt, daß sie willens sind, die Wahlen gegen alle
								Widerstände und Terrordrohungen abzuhalten  schon um sich nicht der
								Gewalt zu beugen. In dieser Woche haben sich die Aufständischen ganz auf
								die neuen Sicherheitskräfte im Irak konzentriert, um deutlich zu machen,
								daß niemand vor ihnen sicher ist. Sowohl der Gouverneur von Bagdad als
								auch der Polizeichef des wichtigen Stadtteils Sadr City wurden erschossen. Es
								wird mit Sicherheit schwierig werden, willige und geeignete Nachfolger zu
								finden und es definitiv kein Job, um den ich mich bewerben würde. 
								 
								Das Ziel der Koalition aus Al Kaida und baathistischen Sunniten ist klar; sie
								wollen unbedingt verhindern, daß diese Wahlen in einem arabischen Land
								stattfinden, um das Scheitern der amerikanischen Politik zu dokumentieren. Das
								kann Bush natürlich nicht zulassen. 
								 
								Thomas Friedman,
								Kriegsbefürworter und einer der StarKommentatoren der 
								NEW YORK TIMES,
								 widmet sich heute dieser Frage unter der Überschrift: "Das Land, das wir
								bekommen haben"  gemeint ist der Irak. Friedman plädiert dafür,
								die Wahlen unbedingt durchzu führen, damit  ja, und da kommt man
								schon etwas ins Stocken  damit ein reeller Bürgerkrieg stattfinden
								kann. 	Wörtlich: 
								 
								Und Friedman, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, daß er für den
								Sturz Saddam Husseins war, vergleicht diese Handlung heute mit dem Öffnen
								einer Champagnerflasche, die man zuvor geschüttelt hat. Indem man den
								Tyrannen gestürzt habe, sei das Land nicht befreit (dieses westliche Bild
								hält er für den Irak und wahrscheinlich für den Mittleren Osten
								überhaupt für unangemessen), sondern der Bürgerkrieg
								ermöglicht worden, den Husseins eiserne Faust 23 Jahre lang verhindert
								hatte. Im Gegensatz zu Osteuropa, wo es jeweils demokratische Mehrheiten in den
								Bevölkerungen gab, die nur auf die Demokratie gewartet hätten, so
								Friedman, müsse diese "democratic majority" im Irak erst geschaffen
								werden. Der heutige Bürgerkrieg ist nicht der von den USA erstrebte
								Bürgerkrieg, und darin liegt für Friedman die Bedeutung der Wahl und
								der Grund dafür, daß die Aufständischen diese unbedingt
								verhindern wollen. Ein von einer legitim gewählten irakischen Regierung
								geführter Kampf gegen die Aufständischen würde den Radikalen
								ihre Legitimität entziehen, die sie daraus beziehen, daß sie gegen
								die ausländischen Besatzungstruppen vorgehen. Daher macht Sinn, daß
								sie die vorhandenen offiziellen irakischen Sicherheitsstrukturen angreifen,
								deren Angehörige man von einem bestimmten Standpunkt aus derzeit noch als
								Kollaborateure ansehen kann. Nach dem 30. Januar wahrscheinlich aber nicht mehr
								und der Terror wird daher bis zum Wahltermin auch noch zunehmen.
								 
								Friedman räumt ein, daß der Westen den Irak niemals wirklich
								"befreien" konnte  womit eine der letzten Begründungen für den
								Krieg fällt  aber seis drum. Nach seiner Ansicht sind es die
								Iraker selbst, die Schiiten, Sunniten and Kurden, die einen
								"Gesellschaftvertrag" abschließen und diesen dann anschließend dann
								auch verteidigen müssen:
								 
								Ein wenig Kritik hat Friedman dann am Schluß auch noch für die
								BushRegierung: 
								 
								Auch sein Fazit ist nicht schlecht und enthält zwei bemerkenswerte
								binäre Oppositionen: wird die aus den Wahlen unzweifelhaft hervorgehende
								schiitische Mehrheit eine tolerante und "einschließende" oder eine
								intolerante und "ausschließende" Mehrheit sein und wird die sunnitische
								Minderheit eine rebellische und separatistische oder eine loyale und
								teilnehmende Minderheit sein? Und Wahlen sind nun einmal der einzige Weg, dies
								herauszufinden. Dem ist kaum zu widersprechen. Was aber wird sein und wie wird
								die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn eine intolerante Mehrheit auf
								eine separatistische Minderheit stößt? Wie lange soll dieser
								Bürgerkrieg dauern?
							 
 
							
								Die zweite Amtseinführung von George W. Bush ist ohne Probleme verlaufen,
								der Präsident hat auf allen Bällen getanzt, der Welt den
								LonghornGruß gezeigt und kann sich nun in aller Ruhe den
								anstehenden Problemen widmen. Texas regiert die Welt. Kritik allenthalben.
								Einerseits war seine Rede schwach und relativ nichtssagend, voller Floskeln und
								Selbstverständlichkeiten, wie Politikerreden nun einmal oft sind,
								andererseits scheint vielen die große Anzahl der prächtigen Parties,
								die es gegeben hat, angesichts des Krieges im Irak unangemessen zu sein. Die
								vierzig Millionen Dollar, die der Spaß gekostet hat, hätte man, so
								die 
								VANITY FAIR
								Redakteurin 
								Judy Bachrach,
								auch besser verwenden können. Das führte in den rechtslastigen,
								Bushtreuen 
								FOXNEWS
								zu einem kleinen Skandal, weil man von Miss Bachrach keine politischen Aussagen
								erwartet hatte, vor allem keine so kritischen:
								 
 
							
								Eigentlich fällt es mir schwer zu glauben, daß wesentliche Teile der
								USamerikanischen Bevölkerung große Lust verspüren, ihrem
								wiedergewählten CommanderinChief nach dem Desaster des
								Irakkrieges so bald in ein zweites Abenteuer gegen das Mullahregime im Iran ins
								Feld zu folgen. Und so viel Zeit bedeuten vier Jahre nicht, wenn man einen
								weltweiten Krieg gegen den Terror gewinnen will. Da George W. dann nicht
								wiedergewählt werden kann, wird wohl entweder Jeb Bush, derzeit Gouverneur
								von Florida, oder einer der Neffen antreten, um die Dynastie im Rennen zu
								halten. Jeb Bush hat schon dementiert, daß er Präsident werden
								wolle, also müssen wir wohl damit rechnen müssen, daß er es
								macht.
								 
								Morgen wird 
								Condolezza Rice
								als erste schwarze Frau amerikanische Außenministerin, und das in einer
								erzkonservativen Regierung. Sie folgt dem ebenfalls farbigen, weltweit hoch
								angesehenen 
								Colin Powell
								in das Amt, dem ich seine Loyalität zu dieser Regierung nie ganz
								abgenommen habe. Während der UNHearings, wo er die angeblichen
								"Beweise" gegen den Irak präsentierte, konnte ich ihm sein Unbehagen
								ansehen, etwas vertreten zu müssen, an das er nicht glaubte. Aber
								daß das Ende der Rassentrennung in den USA scheinbar erreicht worden ist,
								ist nicht das Problem und vor allem eine Illusion angesichts der Realität
								des überwiegenden Teils der farbigen Bevölkerung. Es sind ja gerade
								die Unterschichten, die als GIs den Blutzoll im Irak bezahlen. 
								 
								Es ist völlig unstrittig, daß es in unser aller Interesse ist,
								daß die Wahlen am 30. Januar stattfinden und hoffentlich eine
								einigermassen stabile Regierung zustande bringen, die in der Lage ist, eine
								konsensfähige irakische Verfassung zu erarbeiten. Nur unter dieser
								Prämisse kann überhaupt daran gedacht werden, die fremden Truppen
								abzuziehen, ohne das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen.
								 
								Was aber, und darüber diskutieren nicht wenige, sollte geschehen, wenn der
								Prozeß om Irak erfolgreicher verläuft, als es selbst optimistische
								Beobachter zur Zeit erwarten? Erwartet uns dann das nächste Ziel, werden
								sich die US-Truppen im Persischen Golf dann dem Iran zuwenden und die
								Verhandlungen, die von der Europäischen Union mit der iranischen Regierung
								über die Stillegung des Nuklearprogramms geführt werden, ebenso
								gewaltsam beenden wie ehedem die Waffeninspektionen der UNO im Irak? Im Moment
								sieht es so aus, daß die Europäer die diplomatische Karte spielen,
								während die USA die Muskeln spielen lassen, also eine neue Version von
								Guter BulleBöser Bulle. Der in den USA sehr bekannte Journalist 
								Seymour Hersh
								 hat am 17. Januar einen Artikel im 
								NEW YORKER
								Magazin veröffentlicht, der sich mit den zukünftigen
								Plänen befaßt und der vom Pentagon recht harsch gerügt wurde,
								so daß man davon ausgehen kann, daß etwas daran ist, sondern
								hätte man von offizieller Seite gar nicht reagiert. Es geht darum um
								viele, zumeist geheime Operationen, von CIA und Pentagon geplant, die einen
								größeren Krieg, der im eigenen wohl ebenso unpopulär wie in
								Europa oder Asien wäre, unnötig machen würde, aber Hersh hat
								einige wirklich beunruhigende Aussagen zusammengetragen:
								 
								Hersh weist in einem Interview darauf hin, daß die Verhandlungen der
								Europäer in einer Sackgasse verlaufen werden, solange die Amerikaner sich
								weigern, an ihnen teilzunehmen, denn die EU hat nicht wirklich etwas zu bieten
								 vor allem nicht in Form von Sicherheitsgarantien  um den Iranern
								ihr militärisches Nuklearprogramm erfolgreich auszureden oder abzukaufen,
								solange die Amerikaner mit Drohgebärden im Hintergrund stehen. Er
								befürchtet, daß es der USRegierung gar nicht um ernsthafte
								Verhandlungen geht und daß am Ende wieder ein unilaterales Handeln der
								USA oder Israels steht:
								 
 
							
								Am Vortag der irakischen Wahlen hält die Welt gewissermassen den Atem an.
								Viele befürchten, daß Terroristen die Gelegenheit beim Schopfe
								greifen werden, der arabischen Welt zu demonstrieren, wie wenig die
								Besatzungstruppen und irakischen Sicherheitskräfte die Situation im Griff
								haben. Viele kritisieren die Wahlen als undemokratisch, weil der sunnitische
								Bevölkerungsteil wohl nicht teilnehmen wird, wobei es höchst fraglich
								ist, ob die Menschen die Wahlen wirklich ablehnen oder schlicht aus Angst um
								ihr Leben nicht wählen gehen werden. Der Demokratie, so heißt es
								vielfach, werde mit diesen Wahlen kein Gefallen getan, sie werde in der
								arabischen Welt durch das Vorgehen der Amerikaner und der
								Übergangsregierung nachhaltig diskreditiert. Und während viele
								Exiliraker gestern bereits gewählt haben, gibt es andere, die sich
								öffentlich äußern und kundtun, warum sie nicht gewählt
								haben: 
								Arabs Say Iraq Vote Gives Democracy a Bad Name
								  by Tom Perry, Friday, January 28, 2005, 
								Reuters.
								Die schiitische Bevölkerungsmehrheit von gut 60 Prozent wird das neue
								Parlament zweifellos dominieren und die Sunniten, die unter Saddam Hussein das
								Sagen hatten, werden sich daran gewöhnen müssen, daß in einer
								Demokratie die Mehrheit über die Ausgestaltung des Sozialvertrages
								bestimmt. Viel wichtiger als die Minderheitenfrage ist jedoch die Tatsache,
								daß nur ein gewähltes irakisches Parlament eine Regierung
								hervorbringen kann, die in den wichtigen Länder der arabischen Welt eine
								gewisse Legitimation hat und vor allem den Abzug der Besatzungstruppen zustande
								bringen kann:
								 
 
								 
 
 
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