Ottos Weblog Oktober 2006

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Tuesday, October 03, 2006

Im Guardian habe ich einen schönen Kommentar von George Monbiot gefunden, in dem es um die Verteidigung der Redefreiheit geht. Der Kopf der christlich–fundamentalistischen britischen Organisation "Christian Voice", Stephen Greene, wurde nicht wegen eines Verstosses gegen das "Public Order Act 1986" angeklagt. Das Gesetz, das Menschen vor Stalkern schützen soll, kann in seiner derzeitigen Fassung durchaus auch gegen politischen Protest und gegen Demonstranten angewendet werden und wurde deshalb auch bei seiner Verabschiedung kritisiert.

Im vorliegenden Fall geht es darum, daß Greene deswegen verhaftet worden war und angeklagt werden sollte, weil er Anfang September beim "Mardi Gras Gay and Lesbian Festival" in Cardiff Flugblätter verteilt hatte, in denen er aus dem Leviticus und den Römerbriefen zitierte und damit, so die Anklage, die anwesenden Homosexuellen mit Worten bedroht hatte:

Green had been handing out leaflets to the revellers at the Mardi Gras gay and lesbian festival in Cardiff at the beginning of September. By his standards they were pretty mild. They quoted Leviticus and Romans, compared homosexuality to incest and claimed that "by faith in Jesus it is even possible to be healed of homosexual desires ... you do have a choice as to whether you continue in a lifestyle which leads to hell, or whether you decide to put yourself right with God through belief in the Lord Jesus Christ."

He was arrested and charged under the Public Order Act 1986 with using "threatening, abusive or insulting words or behaviour within the hearing or sight of a person likely to be caused harassment, alarm or distress thereby". On Thursday, however, the Crown Prosecution Service decided to drop the case.
I’m pleased the case against this ranting homophobe was dropped

Greene gehörte zu denjenigen, die den Hurricaine Katrina als "Strafe Gottes" für das angeblich laszive New Orleans bezeichnet hatten. Ein wenig lustiger war seine Behauptung, daß Pakistan die Cricket Testserie deshalb verloren hatte, weil er, Greene, Gott darum als Strafe dafür gebeten habe, daß einer der wichtigsten pakistanischen Spieler, Mohammad Yousuf, zum Islam konvertiert war.

Wednesday, October 04, 2006

Die Weltenoper

Ein interessanter Essay von Mathias Greffrath in der TAZ von heute:

Innenminister Schäuble hat die Islamkonferenz eingeladen, mit ihm die nächste Aufführung des "Idomeneo" an der Deutschen Oper anzusehen. Das ist vielversprechend. Nicht nur, weil es um die Frage geht, ob wir in Zukunft die Freiheit des Regietheaters mit Minenhunden verteidigen müssen. In Mozarts Oper wird die Urszene der judäo–christlichen Zivilisation nachgestellt: das Opfer und das Selbstopfer für eine höhere Gewalt. (…) Idamantes willigt nicht ein in die Kette der Opfer, sondern rebelliert. Mit seiner genialen Fähigkeit zur Subversion des Offensichtlichen dementiert Mozarts Musik das Libretto, lehnen sich die Gefühle gegen die Terror der gesellschaftlichen Zwänge auf. In Hans Neuenfels’ Inszenierung folgt auf die Rebellion in der Musik die Revolution auf der Szene: Der erschütterte Idomeneo enthauptet alle großen Götter — und dankt ab. Die Botschaft lautet: Solange Menschen Fetischen gehorchen, solange Herrschaft sich mit Göttern legitimiert, geht das Morden weiter. Aufklärung — das ist die Emanzipation von metaphysischen Mächten, vom Jenseitsglauben, vom Opfer als der Grundlage der Gesellschaft; sie ist die Entthronung — und manchmal eben auch Enthauptung — irdischer Gewalten, die ihre Autorität von Gottheiten ableiten. Es soll nicht mehr gestorben werden: nicht für Gott, nicht fürs Vaterland und auch nicht für die Abstraktionen Nation, Klasse, Rasse. Insofern hätten die Köpfe von Stalin und Hitler noch dazugehört. (…) Das Abschlagen von Götterköpfen war nämlich nur der erste Teil der Aufgabe, und es hat ein riesengroßes Loch in der Seele der Menschen hinterlassen. Der Glaube an die Unsterblichkeit (der Seele) ist der Untergrund nicht nur der westlichen Zivilisation gewesen. Wo er verblasst, stellt sich das schlimme Gefühl ein, dass das Leben hier und jetzt das einzige ist, das es gibt. "Wenn der Tod allem ein Ende setzt", schrieb George Orwell l944, mit Weltkrieg, Gulag und KZ vor Augen, "wird es viel schwieriger zu glauben, dass man auch dann im Recht sein kann, wenn man besiegt worden ist. Staatsmänner, Nationen, Theorien, Aktionen werden dann fast zwangsläufig nach ihrem materiellen Erfolg beurteilt." Es zählt nur die Gegenwart und das Volk, befreit vom Dienst und Tod für falsche Götter, gibt sich dem Hedonismus hin, nach der Parole "What has posterity done for me?". Seit das Versprechen des materiellen Fortschritts für sechs Milliarden Menschen nicht mehr zu halten ist, weder kommunistisch noch kapitalistisch, steht die "Wiederkehr der Religion" auf der Agenda. Die humanistische "Religion des Menschen" aus der Zauberflöte, John Lennons Liebesbotschaft und die Sozialdemokratie reichen offenbar nicht aus, eine "verkürzte Vernunft" zu zügeln. Und damit sind wir beim zweiten religiösen Skandal dieser Tage: der Regensburger Rede des Papstes. Den treibt — ebenso wie moslemische Geistliche, atheistische Humanisten und verantwortungsethische Politiker — der Horror vor einer materialistischen Menschheit um, in der nur noch das individuelle Gewissen gilt, keine moralischen Werte unbestritten zählen und die instrumentelle Vernunft die Weltzerstörung beschleunigt: "Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich." (…) Wer über den Kapitalismus nicht reden will, der wird gebeten, über Religion zu schweigen. Und vielleicht sollte der Innenminister, wenn er um neue Werte ringt, ein ganz anderes Konzil einberufen: eines von Klimaforschern, Ökonomen, Psychologen, Solaringenieuren, Pädagogen.
Die Weltenoper

Die deutsche Übersetzung von David Mitchells Roman "Cloud Atlas", "Der Wolkenatlas", ist endlich erschienen:

David Mitchell bei Amazon

Ende der Parabel
Der britische Schriftsteller David Mitchell lässt in seinem stilmächtigen Roman "Der Wolkenatlas" die Menschheit im Eilschritt untergehen. Er macht aus seinem Talent kein Geheimnis. Jeder andere hätte bei einem solchen, sich wie die Kuppel einer Kathedrale durch die Jahrhunderte wölbenden Roman den dazugehörigen Bauplan für sich behalten. David Mitchell dagegen schreibt völlig ungeniert, wie "Der Wolkenatlas" funktioniert. Der Hinweis ist in einer Passage über Musik eingeblockt. Der Komponist Robert Frobisher schildert dem Freund Rufus Sixsmith 1931 sein "Sextett für einander überrschneidende Solostimmen", bei dem jedes Instrument mit einer "eigenen Sprache aus Tonart, Melodik und Klangfarbe" ausgestattet ist. Dann geht er ins Detail, "im 1. Satz wird jedes Solo vom nachfolgenden unterbrochen; im 2. setzen sich die unterbrochenen Soli in umgekehrter Reihenfolge fort". Und als wäre dieser Wink nicht genug, legt er nach, nennt das Stück "Der Wolkenatlas" und stellt mit einigem Spott die Frage, auf die es im labyrinthischen Buch stets hinausläuft: "Revolutionär oder effekthascherisch?" (…) Viele Stile, keine Ziele. Jede Episode hat bei Mitchell ihren exakten Ton. Die Satzschachteln eines Herman Melville, Italo Calvino und William Gaddis, ein bisschen Pulp Crichton, ein Schuss Burroughs. Man soll durchaus merken, dass der Roman auf unzählige andere Bücher rekurriert. Trotzdem fehlt ein Ort, an dem in Mitchells Rundumbeobachtung die eigene Schreibhaltung aufscheint. Ornament allein genügt nicht, das weiß der studierte Literaturwissenschaftler sicher am besten. Oder wie es Cavendish in einer hellen Minute ausspricht: "Als erfahrener Lektor lehne ich Rückblenden, vorausgreifende Andeutungen und raffinierte Kunstgriffe ab, sie gehören wie Examensarbeiten über Postmoderne und Chaostheorie in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts." Vielleicht stimmt aber auch, was der Anwalt zu Beginn seiner Reise erkennt: "Es gibt so viele Wahrheiten wie Menschen." Eine davon ist: Mitchell hat reichlich Talent.

Ende der Parabel — von Harald Fricke, taz vom 4.10.2006.

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