Ottos Weblog April 2004

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Tuesday, April 06, 2004

Jetzt kriegen es die Amerikaner im Irak auch noch mit den bislang moderaten Schiiten zu tun, nachdem in der letzten Wochen die Sunniten in Falludscha vier amerikanische Zivilisten getötet und deren Leichen geschändet haben. Die Bilder haben die Öffentlichkeit in den USA sehr verstört und die Medien haben sich in Selbstzensur geübt. Wohl weniger aus Pietät als aus Rücksicht auf die öffentliche Moral, aber Senator Edward Kennedy nennt den Irak schon jetzt ein zweites Vietnam. Die Kommentare bezweifeln denn auch die Realitätsnähe der Idee, die politische Macht im Irak Ende an die Iraker zurückzugeben. Auslöser der Unruhen ist ein recht junger schiitischer Geistlicher namens Muktada al-Sadr, der es gewagt hat, von der schiitischen Bevölkerung Angriffe auf die Besatzungstruppen zu fordern. Eingeschleust wurde er von der iranischen Regierung, die mehrere gute Gründe hat, der Koalition im Irak Steine in den Weg zu legen. Zum einen liegt sie gerade mit der UNO und den USA wegen ihrer Atompolitik im Clinch und zum anderen wäre es überhaupt nicht im Sinne des iranischen Wächterrats, wenn im benachbarten Irak eine Demokratie nach westlichem Vorbild entstehen würde. Es ist natürlich ein Verbrechen, so zu handeln, und die regierenden Mullahs, die gerade die letzte Parlamentswahl gefälscht haben, nehmen den Tod vieler irakischer Schiiten billigend in Kauf, wenn sie Aufstände im Irak unterstützen oder gar initiieren. Und ich glaube auch nicht, daß die Amerikaner, die sowieso zu einer Auseinandersetzung mit dem Mullah–Regime wegen der Atompolitik bereit sind, sich das lange bieten lassen werden.

Ein anderes Thema, das mich seit ein paar Tagen beschäftigt, sind die Hochrechnungen der Astronomen über die wahrscheinliche “Bevölkerungsdichte” des Universums, die das bestätigen, was Science Fiction Autoren schon immer gewußt haben: die Galaxien strotzen vor bewohnbaren Planeten und es ist daher nur wahrscheinlich, daß sich Leben auch anderswo entwickelt hat:

"Australische Forscher gehen jetzt noch einen Schritt weiter. Sie berechneten aufgrund der Daten der irdischen Evolution die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens. Auf unserem Planeten entwickelten sich die ersten Lebensformen mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Geochemische Analysen der stabilen Kohlenstoffisotope haben erwiesen, dass bereits vor mehr als 3,85 Milliarden Jahren erste biologische Organismen existierten. Das Alter unseres Planeten wird inzwischen mehrheitlich mit 4,5 Milliarden Jahre angesetzt. In astronomischen Zeiteinteilungen entstand das Leben in unserem Sonnensystem folglich geradezu explosionsartig." Eine Milliarde Planeten der Klasse M und auf jedem dritten gibt es Leben
Der Originaltext ist im PDF–Format abrufbar: Does the Rapid Appearance of Life on Earth Suggest that Life is Common in the Universe? – by Charles H. Lineweaver, Tamara M. Davis, School of Physics, University of New South Wales
"Die beiden Kosmologen kommen zu dem Schluss, dass bei erdähnlichen Planeten, die älter als eine Milliarde Jahre sind, die Wahrscheinlichkeit für Leben bei 33% liegt. Das Ganze ist mathematisch betrachtet eine Art Biogenese-Lotterie."
Einer von dreien ist gar keine so schlechte Chance angesichts der unendlichen Anzahl von Sonnensystemen da draußen, nicht wahr?

Wednesday, April 07, 2004

Ein Gastkommentator im GUARDIAN beklagt, daß der Krieg gegen den Terror durch Einmarsch in den Irak, also durch die Schuld der Neocons auf die Verliererstraße geraten ist:

"Far from striking a blow against terrorism, the invasion of Iraq has unleashed the very forces of extremism it was supposed to destroy. This shouldn’t surprise us. Successful counter-insurgency strategy always relies on two interrelated elements: a military campaign aimed at the perpetrators of violence, and a political campaign designed to isolate them from the wider population. By invading Iraq, the Bush administration violated both principles simultaneously. (…) Instead of focusing on stabilising Afghanistan and pursuing the large numbers of committed terrorists that escaped the fall of the Taliban, the Bush administration decided to widen the war on terror to carry out an act of geopolitical adventurism that had been part of the neoconservative game plan before most senior officials had even heard of al-Qaida. (…) The neocons are loud in their denunciations of anyone who argues that an attempt to reduce the popular resentments that inflame Muslim opinion must be an integral part of any successful counter-terrorism campaign. To even suggest it is a "reward for terror" and an act of "appeasement." But the obligatory references to the 1930s and the neocons’ obsession with Churchill illustrate how profoundly they have misconceived the nature of the threat." David Clark, special adviser at the Foreign Office from 1997 to 2001

Sunday, April 11, 2004

Auf der PYNCHON-LISTE läuft gerade eine Gruppenlesung von Thomas Pynchons Roman Vineland und in Ergänzung dazu lese ich gerade die Geschichte von Charles Mansons “Family” aus der Sicht des ermittelnden Staatsanwaltes. Soweit das angesichts der horrormäßigen Ergeignisse um die Ermordung Sharon Tates und einiger anderer, weniger prominenter Personen geht, behält der Ankläger, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt und spätere Autor Vincent Bugliosi seinen Humor:

"Kanarek was something of a legend in the Los Angeles courts. The attorney’s obstructionist tactics had caused a number of judges to openly censure him from the bench. Kanarek stories were so common, and usually incedible, as to seem fictional when they were actually fact. Prosecutor Burton Katz, for example, recalled that Kanarek once objected to a prosecution witness’s stating his own name because, having first heard his name from his mother, it was "hearsay." — Vincent Bugliosi, Curt Gentry: "Helter Skelter. The True Sory of the Manson Murders," New York 1974, p. 278
Ich kannte die Geschichte schon in der Version von Ed Sanders, aber Sanders, ehemals Frontman der Fugs ist selber ein Hippie und ich wollte die Story aus anderer Perspektive hören. Nachdem ich nun beinahe durch Bugliosis Buch durch bin, kann ich sagen, daß ich beide Werke als Ergänzung zueinander schätze.

Die wesentlichen Unterschiede sind wohl darin zu sehen, daß der eine Autor Manson und einiger seiner Anhänger in die Todeszelle gebracht hat (eine Gesetzesänderung in Californien, wo die Todesstrafe mittlerweile abgeschafft ist, rettete Mansons Leben), während der andere gleich zu Beginn seiner Reportage klar macht, daß er die Todesstrafe ablehnt und betont, daß es doch Mittel und Wege geben müsse, die Gesellschaft ein für allemal vor Manson und seinen Anhängern zu schützen, ohne ihn umzubringen. Zweifelsohne ist dies die Ansicht, die ich auch teile, aber auch Bugliosi erscheint bemerkenswert fair in seinem Handeln, abgesehen von seiner Forderung nach der Todesstrafe. Natürlich kann ich nicht ausschließen, daß Bugliosi seine Arbeit beschönigt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sanders ihn in seinem Buch angreift.

An einer Stelle, wo Bugliosi von seinen Kontakten zu nicht verhafteten Family–Mitgliedern während der Ermittlungen und des Prozesses berichtet, wird klar, daß es ihm in der Tat darum geht, daß Verbrechen gesühnt und eventuelle weitere Verbrechen verhindert werden. Andererseits offenbart die gleiche Stelle auch Bugliosis politische Einstellung angesichts seiner Haltung zum Krieg in Vietnam sowie seinen Unwillen, darüber zu reflektieren:

"Since our first meeting in Independence, I had remained on speaking terms with Sandy and Squeaky. (…) On her first visit to my office (…) we’d talked about the Family credo: Sandy had maintained it was peace; I’d maintained it was murder, and had asked how she could stomach this.
"People are being murdered every day in Vietnam," she’d countered.
"Assuming for the sake of argument that the deaths in Vietnam are murders," I responded, “how does this justify murdering seven more people?"
As she tried to come up with an answer, I told her, "Sandy, if you really believe in peace and love, I want you to prove it. The next time murder is in the wind at Spahn Ranch, I want you to remember that other people like to live just as much as you do. And, as another human being, I want you to do everything possible to prevent it from happening. Do you understand what I mean?"
She quietly replied, "Yes."
(p. 357)
Es war nicht seine Aufgabe, über den Krieg in Vietnam zu richten, aber es war sehr wohl seine Aufgabe, zu verhindern, daß dieser kriegerische Clan junger Amerikaner (Ed Sanders) den Krieg als Rechtfertigung für weitere Untaten benutzte.

Saturday, April 17, 2004

Während sich Deutschland damit aufhält, die offensichtliche Korruptheit der gesamten politischen Elite zu übersehen — nur wer erwischt wird, ist der Dumme — gehen draußen in der Welt die wirklichen Dinge von Bedeutung weiter.

Präsident Bush hat die Welt wieder einmal mit einer seiner einsamen Entscheidungen beglückt. Er hat sich aus dem Nahost–Quartett (USA, Russland, UNO, EU) verabschiedet und dem israelischen Premierminister Scharon eine einseitige Garantie für den Fortbestand einiger großer Siedlungen auf der Westbank im Ausgleich zur Räumung des Gaza–Streifens gegeben. Bis auf Tony Blair hat denn auch nahezu jeder diesen Schritt als unvereinbar mit dem Völkerrecht bezeichnet. Der zweite Teil der Vereinbahrung zwischen den beiden Staatschefs betrifft das Rückkehrrecht jener palästinensischen Flüchtlinge, die 1967 aus Israel vertrieben worden sind oder das Land aus eigenem Willen verlassen haben. Diese Frage ist Teil der palästinensischen Verhandlungsmasse, und zwar der Teil, der bei einem gerechten Kompromiss von der palästinensischen Seite preisgegeben würde. Denn niemand kann im Ernst erwarten, daß irgendeine israelische Regierung dem dieser Rückkehr jemals zustimmen könnte, ohne politischen Selbstmord zu begehen. Aber es kann auch niemand von der Palästinenserführung erwarten, daß sie diese Forderung im Gegenzug für eine Räumung Gazas aufgibt. Israel wird aufgrund des Völkerrechts Gaza sowieso und in jedem Fall aufgeben müssen. Die Westbank aber auch und es besteht gar keine Frage, daß die Weltgemeinschaft dies auch fordern wird. Es wird bis 2005 dauern, bis der israelische Teilrückzug bewerkstelligt ist, aber schon jetzt fordert Scharon, daß die von den Siedlern bewohnten Gebäude jenen Palästinensern zugewiesen werden, die eben nicht mehr nach Israel zurück dürfen. Ansonsten würden die Gebäude zerstört. Daß die IDF das prima kann, hat sie schon oft unter Beweis gestellt.

Sowohl in Israel wie auch in Amerika herrscht Wahlkampf, sowohl Bush als auch Scharon müssen von der verheerenden Sicherheitslage, die ihre Kriegspolitik geschaffen hat, ablenken. Sie müssen Erfolge produzieren, wenn sie wiedergewählt werden wollen. Angesichts der aktuellen zehn Punkte Führung John Kerrys erschien es Bush wohl angemessen, einige jüdische Wählerstimmen aus dem demokratischen Lager herauszubrechen.Die Auswirkungen dieses Schritts, so argumentieren viele, werden schlimm sein:

"In his press conference of April 13, President Bush gave several reasons for cracking down on Iraqi insurgents. He said their motivation was the same as those who set off bombs in Jerusalem; he tied them to the murder of Wall Street Journal reporter Daniel Pearl, executed by al-Qaida in part for being Jewish. He also cited Shiite radical Muqtada al-Sadr’s support for the Palestinian Hamas organization and the Lebanese Shiite Hezbollah party. He gave as one reason for having gone to war against Saddam Hussein the former dictator’s support for Palestinian terrorists. In this speech, he presented the Iraq war and its violent aftermath as an extension of the Israeli struggle to subjugate the Palestinians and Hezbollah. Before the war, Bush connected nonexistent dots between Saddam Hussein and al-Qaida. Now he and his neoconservative brain trust are mapping the Iraq conflict onto the Likud Party agenda in Palestine. This time, however, it’s a self-fulfilling prophecy — and one that will have devastating repercussions for U.S. interests in both Iraq and the entire Arab world." — Juan Cole, SALON, April 16, 2004

Indem die USA sich so eindeutig auf die israelischen Seite stellen und die gesamte arabische und islamische Welt brüskieren, begeht George Bush den Fehler, nur einige Tage nach dem neuen Bin Laden Video den Fehler, auch den sogenannten moderaten arabischen Führern den Teppich unter dem Boden wegzuziehen. “Seht ihr?” werden alle Radikalen zu den Moderaten sagen, die sie überzeugen wollen. Die Ankündigung von Washington wird Scharen junger Leute in die Arme von Hamas und El Kaida treiben.

Unabhängig von allen anderen Erwägungen hat die Sache einen großen Schönheitsfehler. Israel befindet sich nicht im Konflikt mit Amerika, sondern mit Palästina und der übrigen arabischen Welt. Mit dieser Seite muß Israel Vereinbahrungen treffen, um Frieden und eine sichere Existenz zu erlangen, nicht mit seiner Schutzmacht. Das wird den Konflikt nur in alle Ewigkeit verlängern, und die amerikanischen wie israelischen Wähler müssen sich fragen lassen, ob sie das wollen, ob das ihren nationalen Interessen gerecht wird:

"President Bush described the Sharon plan as both historic and courageous ם but in truth it is neither of these, and nor is it likely to be accepted by any of the other parties involved. Based on Yasser Arafat’s reaction yesterday, this plan will only be a recipe for further conflict. (…) The end result of Wednesday’s announcement is that Mr Sharon is delighted, Mr Bush has been compromised as an honest broker in the Middle East, and Mr Blair simply looks weak. Meanwhile, many Israelis and Palestinians are angry, because the future of their two countries should not be carved up in the smug–filled rooms of Washington." Dangerous liaisons — Friday April 16, 2004, THE GUARDIAN
Nachtrag: daß Scharon jetzt auch den neuen Hamas-Chef Rantisi hat wegpusten lassen, ruft zwar allenthalben Kritik hervor, kann aber nicht verwundern. Wie sagte Bin Laden doch im letzten Video: die Meister des Veto gegen die Sklaven der Generalversammlung. Scharon weiß eben, daß die USA einer Verurteilung durch die UNO nicht zustimmen werden.

Tuesday, April 20, 2004

Mittlerweile habe ich schon eine ganze Reihe von Kritiken zu Thor Kunkel’s Roman “Endstufe” gelesen, ohne von dem Buch selbst auch nur eine Zeile gelesen zu haben. Das allgemeine Urteil ist ziemlich kritisch, um nicht zu sagen vernichtend, und ich habe ich mir wirklich schon überlegt, ob ich das Buch wirklich lesen werde. Werde ich aber sicherlich, sobald es billig zu erhalten ist, schon wegen der thematischen Nähe zu Thomas Pynchon. Aber ich kann nach all’ den Kritiken meine Neugier zügeln, bis die Remittenden in den Discount-Buchhandlungen auftauchen. In der TAZ vom 16.04.2004 hat jemand dazu eine eindeutige Meinung:

1. "Ich glaube, es ist wichtig, das Dritte Reich unter dem Aspekt der Verführung und Verblendung zu sehen."
2. "Ich habe versucht, das Private zu durchleuchten."
3. "Ich benutze die Pornographie als poetische Metapher, um das Phänomen Drittes Reich vollständig zu erfassen."
4. Die Bilder, die wir bisher kannten, reichen nicht aus, um das Phänomen Drittes Reich mit allen seinen Schrecken nachfühlbar zu machen." (Thor Kunkel)
Zu diesen vier merkwürdigen Sätzen Kunkels, die er im einzelnen auseinandernimmt, hat Klaus Bittermann abschließend zu sagen:
"Brillanter wurde selten in nur vier Sätzen begründet, dass man nicht mehr alle Schweine im Rennen haben muss, sollte man vorhaben, den 600-Seiten-Klops tatsächlich lesen zu wollen." Klaus Bittermann: Der Unterwäscheschnüffler
Pornographie als Metapher für den Faschismus? Klingt für mich wie eine Anleihe bei Pasolini.

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